Politische Analyse von Ibrahim Mustafa (Kaban)
Analytischer Einstieg: Vom regionalen Wandel zur Verwirrung Ankaras
Die Entwicklungen im Nahen Osten seit dem 7. Oktober sind weit mehr als eine militärische Eskalation zwischen Israel und den Widerstandsbewegungen. Sie markieren den Beginn einer neuen Phase in der Umgestaltung des regionalen Machtgefüges. Drei entscheidende Verschiebungen prägen diese Phase: der Verlust der offensiven Schlagkraft der Hisbollah unter zunehmendem israelischem Druck, der Rückgang des iranischen Einflusses in Syrien und im Irak sowie der Zusammenbruch der militärischen Fähigkeiten der Hamas im Gazastreifen.
Diese Veränderungen haben ein Machtvakuum unter den nichtstaatlichen Akteuren geschaffen, die einst die operativen Arme der iranischen Achse bildeten. Dieses Vakuum eröffnet nun den Raum für eine Neubewertung der regionalen Kräfteverhältnisse – insbesondere in Bezug auf die kurdischen politischen und militärischen Strukturen, die als organisierte und stabile Akteure hervortreten.
Ankara, sich der Tragweite dieser Transformationen bewusst, steht vor einem doppelten Dilemma. Einerseits erkennt die Türkei, dass die kurdischen Kräfte – gut organisiert, diszipliniert und politisch strukturiert – am besten geeignet sind, das entstehende Machtvakuum zu füllen. Andererseits fürchtet sie, dass jede Form israelischer oder westlicher Unterstützung der Kurden ihre geopolitische Stellung und innere Sicherheitsarchitektur direkt bedrohen könnte.
Die Entwicklungen im Nahen Osten seit dem 7. Oktober sind weit mehr als eine militärische Eskalation zwischen Israel und den Widerstandsbewegungen. Sie markieren den Beginn einer neuen Phase in der Umgestaltung des regionalen Machtgefüges. Drei entscheidende Verschiebungen prägen diese Phase: der Verlust der offensiven Schlagkraft der Hisbollah unter zunehmendem israelischem Druck, der Rückgang des iranischen Einflusses in Syrien und im Irak sowie der Zusammenbruch der militärischen Fähigkeiten der Hamas im Gazastreifen.
Diese Veränderungen haben ein Machtvakuum unter den nichtstaatlichen Akteuren geschaffen, die einst die operativen Arme der iranischen Achse bildeten. Dieses Vakuum eröffnet nun den Raum für eine Neubewertung der regionalen Kräfteverhältnisse – insbesondere in Bezug auf die kurdischen politischen und militärischen Strukturen, die als organisierte und stabile Akteure hervortreten.
Ankara, sich der Tragweite dieser Transformationen bewusst, steht vor einem doppelten Dilemma. Einerseits erkennt die Türkei, dass die kurdischen Kräfte – gut organisiert, diszipliniert und politisch strukturiert – am besten geeignet sind, das entstehende Machtvakuum zu füllen. Andererseits fürchtet sie, dass jede Form israelischer oder westlicher Unterstützung der Kurden ihre geopolitische Stellung und innere Sicherheitsarchitektur direkt bedrohen könnte.
Die türkische Angst vor einer neuen Machtbalance
Historisch betrachtet hat die Türkei die Kurdenfrage stets als Sicherheitsproblem behandelt, als Bedrohung der staatlichen Einheit und der nationalen Identität. Doch die Entwicklungen nach dem 7. Oktober haben diese Wahrnehmung grundlegend verändert. Eine mögliche Annäherung zwischen Israel und kurdischen Akteuren ist kein theoretisches Szenario mehr – sie ist eine reale Option in einem regionalen Umfeld, in dem Israel nach neuen, verlässlichen Partnern sucht, um den iranischen Einfluss einzudämmen.
Für Ankara ist dieses Szenario ein Albtraum. Es bedroht nicht nur ihre Dominanz in Nordsyrien und im Nordirak, sondern schwächt auch ihr lang gepflegtes Narrativ, der unentbehrliche westliche Schutzwall gegen Iran und Russland zu sein. Während Washington und Tel Aviv ihre regionalen Partnerschaften überdenken, verliert die Türkei an strategischem Gewicht – während die Kurden als pragmatische, stabile und militärisch fähige Partner an Bedeutung gewinnen.
Der verschobene Frieden: Eine strategische Täuschung
Angesichts dieser Lage griff Ankara zu einer altbekannten, diesmal jedoch raffinierteren Taktik: Sie inszenierte eine scheinbare „Friedensbereitschaft“ gegenüber den Kurden – sowohl im Inland als auch in den Nachbarregionen – und eröffnete über inoffizielle Kanäle erste Kontakte.
Doch dieses Vorgehen war nie als ernsthafte Versöhnung gedacht. Im Kern handelte es sich um ein strategisches Manöver, um die Kurden auf eine Warteliste zu setzen – bis der israelische Sturm vorüber ist und die neuen regionalen Machtlinien klarer werden.
Zeit ist für Ankara eine Waffe. Jede Verzögerung, jeder Monat ohne klare kurdisch-israelische Abstimmung verschafft der Türkei Raum, ihre Position neu zu definieren. Die Rhetorik des „inneren Friedens“ dient in diesem Kontext lediglich als Fassade – um westlichen Druck abzufedern und die kurdische Frage weiterhin als innerstaatliches Problem darzustellen, nicht als Teil der regionalen Sicherheitsordnung.
Hinter der Täuschung: Die Rückkehr zur Kontrolle
In der Realität gibt es keinerlei Anzeichen für einen echten Friedensprozess. Die anhaltenden Luftangriffe auf die Gebiete der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien, die politischen Massenverhaftungen innerhalb der Türkei und die kategorische Ablehnung, legale kurdische Parteien einzubeziehen, belegen, dass Ankara nach wie vor auf Eindämmung und Zermürbung setzt.
Mit dem wachsenden israelischen Einfluss in der Region wächst auch Ankaras Angst, dass eine mögliche kurdisch-israelische Kooperation den politischen Aufstieg der Kurden in Syrien, im Irak und letztlich in der Türkei selbst fördern könnte. Daher dient das Friedensnarrativ lediglich als temporäre Deckung, während Ankara im Hintergrund weiter daran arbeitet, die kurdischen Strukturen zu schwächen und zu fragmentieren.
Fazit: Zwischen Täuschung und strategischer Sackgasse
Die türkische Täuschung – die Kurden auf die Warteliste zu setzen – spiegelt eine tiefere strategische Krise wider. Der türkische Staat ist nicht mehr in der Lage, den strukturellen Wandel im Nahen Osten mit den alten Mitteln der Leugnung und Repression zu bewältigen. Einerseits kann Ankara das zunehmende politische Gewicht der Kurden nicht ignorieren; andererseits fürchtet sie, deren Rolle anzuerkennen, da dies das Ende eines jahrhundertelangen nationalistischen Dogmas bedeuten würde.
Was die Türkei übersieht, ist, dass die nächste Phase der regionalen Ordnung keine Aufschubpolitik mehr duldet. Die neue Sicherheitsarchitektur des Nahen Ostens – geformt im Schatten des 7. Oktober – wird auf dauerhaften Gleichgewichten, nicht auf temporären Absprachen beruhen. Und die Kurden, aufgrund ihrer geografischen Lage, ihrer organisatorischen Stärke und ihrer politischen Erfahrung, werden unvermeidlich Teil dieses Gleichgewichts sein – ob Ankara es will oder nicht.
Letztlich wird die türkische Täuschung nur so lange wirken, wie die Kurden bereit sind, im Warten zu verharren. Sollten die kurdischen Akteure hingegen den Schritt zu einer aktiven, unabhängigen strategischen Kooperation mit internationalen Partnern wagen, wird Ankara sich einer neuen Realität gegenübersehen – einer, die sich weder durch „verzögerten Frieden“ noch durch symbolische Verhandlungen verschleiern lässt.