Erstellung des Berichts: Geostrategic Studies Team
Nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad im Dezember 2024 trat Ahmad al-Shar’a, zuvor bekannt als „Abu Muhammad al-Julani“, als Führer der Übergangsphase in Syrien hervor. Unter seiner Führung wurde die „Neue Syrische Armee“ gegründet, die aufgrund der Ernennung zahlreicher ausländischer Kommandeure – einige mit extremistischem Hintergrund – in hohe militärische und sicherheitspolitische Positionen große Kontroversen auslöste. Dieser Bericht beleuchtet die Akteure hinter der Rekrutierung dieser Personen, insbesondere die Rolle der Türkei und die internationale Haltung, und analysiert die daraus resultierenden Risiken für die regionale und internationale Sicherheit.
Ausländische Kommandeure in der Neuen Syrischen Armee
Die Ernennungen innerhalb der neuen Armee zeigen eine auffällige Abhängigkeit von ausländischen Führungspersonen, darunter:
Abd al-Rahman al-Khatib (Abu Husayn al-Urduni): Ein jordanischer Arzt, ehemals führendes Mitglied von Hay’at Tahrir al-Sham. Er wurde zum Kommandanten der neuen Republikanischen Garde ernannt.
Omar Muhammad Gaftchi (Mukhtar al-Turki): Ein türkischer Staatsbürger, der zu den Schattenführern von HTS gehörte. Er wurde zum Kommandanten der Damaskus-Division ernannt.
Weitere Kommandeure: Darunter ein Albaner, ein Tadschike und ein Uigure, der der Islamischen Partei Turkestans (TIP) angehörte – alle wurden in hohe militärische und sicherheitspolitische Positionen eingesetzt.
Diese starke Beteiligung ausländischer Führungskräfte wirft Fragen nach Shar’as Beweggründen auf – insbesondere, warum er sie lokalen Führern in sensiblen Positionen vorzieht.
Die Rolle der Türkei beim Aufbau der Neuen Syrischen Armee
Die Türkei spielt eine zentrale Rolle bei der Unterstützung und Formierung der neuen syrischen Streitkräfte:
Militärische und logistische Unterstützung: Ankara erwägt den Aufbau militärischer Stützpunkte in Syrien und stellt Waffen und Ausbildung für die neue Armee bereit.
Politische Beziehungen: Die Türkei erklärte ihre Bereitschaft, Syrien bei der „Bekämpfung aller Formen des Terrorismus“ zu unterstützen, und betonte den Aufbau einer strategischen Partnerschaft mit der neuen syrischen Regierung.
Einfluss auf Ernennungen: Berichten zufolge pflegten einige der ausländischen Kommandeure – wie „Mukhtar al-Turki“ – enge Beziehungen zum türkischen Geheimdienst MIT, was auf einen erheblichen türkischen Einfluss auf die Führungsstruktur der Armee hinweist.
Dieser Einfluss wirft Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit syrischer Entscheidungen während der Übergangszeit auf. Es besteht die Gefahr, dass die Türkei die Armee als Instrument ihrer regionalen Interessen benutzt.
Internationale Reaktionen auf die Rekrutierung ausländischer Extremisten
Vereinigte Staaten:
Die USA genehmigten den Plan zur Integration von etwa 3.500 ehemaligen ausländischen Kämpfern in die Nationale Armee Syriens – unter der Bedingung voller Transparenz. Diese Kämpfer – vorwiegend Uiguren, die einst HTS angehörten – gelten nun als loyal zur neuen syrischen Führung nach Assads Sturz.
Diese Entwicklung stellt eine bedeutende Wende in der US-Politik dar, insbesondere nach Donald Trumps letzter Nahost-Reise und der Ernennung von Thomas Barrack als US-Sondergesandter für Syrien.
Während westliche Staaten die Einbindung dieser Kämpfer aus Sicherheitsgründen kritisieren, argumentiert die syrische Übergangsregierung, dass Integration sicherer sei als ein erneuter Radikalisierungsprozess.
Die Islamische Partei Turkestans verkündete ihre Auflösung und Eingliederung in das syrische Verteidigungsministerium. Dennoch bleibt die chinesische Regierung misstrauisch.
Präsident Shar’a deutete an, dass ausländische Kämpfer die syrische Staatsbürgerschaft erhalten könnten – als Anerkennung für ihre Rolle beim Sturz Assads.
China:
China äußerte Besorgnis über die Präsenz uigurischer Kämpfer in Syrien und forderte die Regierung in Damaskus auf, gegen alle Formen von Extremismus vorzugehen – als Reaktion auf internationale Sicherheitsbedenken.
Risiken der Rekrutierung extremistischer Ausländer
Gefahr für die regionale Sicherheit:
Die Besetzung hoher Positionen durch extremistische Kommandeure kann zu einer Verbreitung radikalen Gedankenguts in Nachbarstaaten führen – mit negativen Folgen für Sicherheit und Stabilität.
Schwächung des Übergangsprozesses:
Shar’as Entscheidung, ausländische Führungspersönlichkeiten zu bevorzugen, könnte die Legitimität der Übergangsregierung untergraben und Zweifel an ihrem Bekenntnis zu einem demokratischen Staat wecken.
Innere Spannungen:
Die Bevorzugung ausländischer gegenüber einheimischen Kommandeuren könnte zu Frustration und Spaltung innerhalb der Armee führen – mit potenziell destabilisierenden Folgen.
Die Akteure hinter der Rekrutierung
Ein Netz regionaler und internationaler Akteure unterstützt die Integration extremistischer Kämpfer in die neue syrische Armee. Ihre geopolitischen Interessen überschneiden sich dabei oft:
Türkei:
Geheimdienst MIT: Organisierte jahrelang Ausbildungslager für TIP-Kämpfer in Idlib und Aleppo, deckte ihre Präsenz in HTS-Strukturen ab und bereitete ihre Integration in die neue Armee vor.
Türkisches Militär: Ermöglichte die Verlegung ausländischer Kommandeure und bot logistischen Schutz in oppositionell kontrollierten Gebieten.
Getarnte Hilfsorganisationen: Türkische NGOs mit humanitärem Deckmantel fungierten als Kanäle für Finanzierung, Unterkunft und ideologische Mobilisierung.
Katar:
Finanzierungskanäle: Katarische salafistische Stiftungen unterstützten zuvor jihadistische Gruppen (inkl. TIP) und leiteten später verdeckte Mittel zur Stärkung des neuen Militärs.
Diplomatische Deckung: Doha nutzte seine engen Beziehungen zum Westen, um das Bild einer „gemäßigten neuen Führung“ unter Shar’a zu fördern – trotz der Präsenz ehemaliger al-Qaida-Figuren.
USA:
CIA: Laut Washington Post war Washington frühzeitig über die Pläne zur Integration der 3.500 Kämpfer informiert und akzeptierte sie unter Auflagen (internationale Beobachtung, Schutz westlicher Interessen).
Zentralkommando (CENTCOM): Bevorzugte eine stabile, wenn auch problematische Armee, um ein Sicherheitsvakuum und das Wiedererstarken von ISIS zu verhindern.
Politisches Einverständnis: Deutlich geworden bei Shar’as USA-Reise und den lobenden Worten von Thomas Barrack zur „intelligenten Strategie zur Rehabilitierung ehemaliger Dschihadisten“.
Aserbaidschan, Pakistan, zentralasiatische Staaten:
Diese Länder boten ihren ehemaligen Staatsangehörigen impliziten Schutz, indem sie deren Rückkehr ignorierten oder religiös-ethnische Netzwerke (z. B. tadschikische, tschetschenische Kanäle) tolerierten, die neue Kämpfer rekrutierten.
Transnationale Muslimbruderschafts-Netzwerke:
Unterstützten organisatorisch und ideologisch die Eingliederung ehemaliger Kämpfer in staatliche Strukturen und nutzten Verbindungen zu syrischen Entscheidungsträgern.
Überlappende Interessenlagen
Die Rekrutierung extremistischer Ausländer in die Neue Syrische Armee ist nicht das Ergebnis eines einzelnen Plans, sondern Ausdruck komplexer Interessensüberschneidungen:
Akteur Interesse
Türkei Dauerhafter Einfluss in der neuen syrischen Staatsstruktur
Katar Erhalt islamisch-konservativer Verbündeter in Machtpositionen
USA Stabilität sichern, Staatskollaps verhindern, Iran eindämmen
Shar’a-Regierung Aufbau einer loyalen, kontrollierbaren Armee nach dem Vertrauensverlust in lokale Kräfte
Ehemalige Gruppen Schutz vor Verfolgung durch Re-Integration in den Staatsapparat
Erweiterter Schluss
Die Unterstützung, die die Regierung Shar’a für die Integration ehemaliger ausländischer Kämpfer erhält, ist keineswegs isoliert. Sie basiert auf einem Netzwerk aus regionalen und internationalen Allianzen, die sich auf einen gemeinsamen Nenner geeinigt haben: die Stabilisierung der neuen Machtstruktur in Damaskus – um jeden Preis, auch durch die Einbindung vormals radikalisierter Akteure.
Doch diese Maßnahme, so funktional sie aus geopolitischer Sicht erscheinen mag, birgt erhebliche Gefahren für die Identität des neuen syrischen Staates. Die Verflechtung ideologisch geprägter Akteure in Armee und Verteidigungsministerium droht, ein Modell der „ideologisierten Staatsmacht“ neu zu beleben – und macht eine echte Demokratisierung unwahrscheinlicher.
Ohne klare gesetzliche Schranken könnte Syrien sich bald in eine hybride Staatsform verwandeln – mit salafistischer Substanz unter dem Deckmantel eines neuen, zivilen Systems, unterstützt von einer internationalen Gemeinschaft, die Stabilität über Freiheit stellt.
Schlussfolgerung
Die Datenlage legt nahe, dass die Rekrutierung ausländischer Extremisten durch Ahmad al-Shar’a mit aktiver Unterstützung regionaler Akteure – insbesondere der Türkei – erfolgt. Diese Entwicklung birgt ernsthafte Gefahren für die künftige Stabilität Syriens und der Region. Statt zum Wiederaufbau und zur Versöhnung beizutragen, könnte sie neue Konflikte und Radikalisierung heraufbeschwören.
Quellen:
1. Reuters: USA genehmigt Integration ausländischer Dschihadisten in neue syrische Armee
2. Washington Post: Shar’a und die Herausforderung der ausländischen Helfer