Sonder-/Redaktionsausschuss für geostrategische Studien
Bei jeder strategischen Bewegung, die die Kurden in der politischen Arena zu setzen versuchen, scheinen die Türken bereits meilenweit voraus zu sein. Diese Feststellung ist kein Ausdruck von Pessimismus, sondern eine nüchterne Analyse des strukturellen Ungleichgewichts, das die kurdische Realität seit Jahrzehnten prägt. Der türkische Staat – ausgestattet mit zentralisierter Macht, geopolitischem Einfluss und umfassenden Ressourcen – agiert auf einem Niveau, das für kurdische Akteure, insbesondere in Syrien, unerreichbar scheint.
Die Folge: Die Kurden gehen aus fast allen historischen Wendepunkten mit leeren Händen hervor – ausgeschlossen von Entscheidungsprozessen, marginalisiert in Allianzen, oder instrumentalisiert in fremden politischen Projekten.
Doch diese strukturelle Schwäche darf nicht zur Resignation führen. Im Gegenteil: Sie muss der Ausgangspunkt für eine neue, realistische Strategie kurdischer Politik in Syrien sein – eine Strategie, die aus der eigenen Realität hervorgeht und nicht von außen importiert oder ideologisch verordnet wird.
Die Notwendigkeit eines eigenständigen syrisch-kurdischen Denkens
Der erste Grundpfeiler dieser neuen Strategie muss die konsequente Rückbesinnung auf den syrisch-kurdischen Verstand sein. Solidarität mit den anderen Teilen Kurdistans ist eine moralische Pflicht, doch die politische Realität in Syrien verlangt eigenständige Antworten. Gesellschaftliche Struktur, geopolitische Lage und historische Erfahrungen unterscheiden sich grundlegend von denen in der Türkei, im Irak oder im Iran.
Das bedeutet: Die syrischen Kurden müssen eigenständig denken und handeln – nicht im Sinne eines Abkapselns, sondern im Bewusstsein, dass niemand ihre Realität besser kennt als sie selbst. Das Zeitalter der strategischen Fremdbestimmung muss enden.
Vom ideologischen Universalismus zum legitimen Nationalbewusstsein
Der zweite notwendige Schritt ist die Abkehr von utopischen, universalistischen Ideologien, die weder die kurdische Bevölkerung erreichen noch internationale Anerkennung erzeugen. Jahrzehntelange Investitionen in revolutionären Internationalismus haben keine nachhaltige Machtbasis geschaffen – weder lokal noch global.
Stattdessen bedarf es einer Rückkehr zu einem legitimen, modernen kurdischen Nationalbewusstsein. Dieses darf nicht chauvinistisch sein, sondern muss in der kollektiven Erfahrung, im Leiden und im Streben nach Würde und Selbstbestimmung wurzeln. Eine solche nationale Erzählung schafft nicht nur interne Geschlossenheit, sondern öffnet auch Türen auf der internationalen Bühne – denn die Welt versteht das Streben nach nationalen Rechten weitaus besser als ideologische Experimente.
Politische Eigenständigkeit jenseits der PKK-Doktrin
Der dritte – besonders sensible – Punkt betrifft die Notwendigkeit eines eigenständigen syrisch-kurdischen politischen Weges, der sich von der direkten Einflussnahme der PKK befreit. Dies ist keine Feindseligkeit gegenüber der PKK, sondern eine strategische Klarstellung. Die Rolle der PKK bei der Bewusstseinsbildung darf nicht unterschätzt werden. Doch ihre ideologischen, taktischen und organisatorischen Prioritäten stammen aus einem anderen Kontext – und dürfen nicht die politischen Entscheidungen der syrischen Kurden dominieren.
Respekt bedeutet nicht Unterwerfung. Solidarität bedeutet nicht Uniformität.
Wenn die syrischen Kurden langfristige Selbstverwaltung, gesellschaftliche Unterstützung und internationale Legitimität erreichen wollen, dann müssen sie eigene Institutionen aufbauen, ein pluralistisches politisches Denken fördern und Strategien entwickeln, die ihrer spezifischen Realität entsprechen.
Das eigentliche Schlachtfeld: Strategisches Denken
Es geht nicht um einen militärischen Wettlauf. Es geht um einen strategischen. Und in diesem Feld sind politische Intelligenz, institutionelle Stärke und kohärente nationale Narrative die entscheidenden Waffen.
Die türkische Seite ist nicht nur stärker, sie ist auch strategisch geschlossener, kohärenter in ihren Zielen und weniger abhängig von externen Ideologien. Wenn die syrischen Kurden weiterhin ihr Denken outsourcen, werden sie auch weiterhin zurückbleiben – nicht aus Mangel an Mut oder Opferbereitschaft, sondern aus dem Fehlen einer nachhaltigen, kontextbasierten Vision.
Jetzt ist die Zeit gekommen, wie eine Nation zu denken, wie eine Nation zu handeln und wie eine Nation aufzubauen.