Über die Geschichtsvergessenheit bei den iranischen Protesten

Angesichts der anhaltenden Proteste im Iran ist es sehr wichtig, zwei Fragen zu klären, um die es Missverständnisse gibt: Erstens geht es bei den iranischen Protesten nicht um den Hijab, sondern darum, was der Hijab symbolisiert. Es ist eine Tatsache, dass dem iranischen Volk das Selbstbestimmungsrecht des Staates vorenthalten wird. Und das in allen Bereichen. Der Hijab ist ein Symbol dafür und deshalb reißen Frauen ihn jetzt vom Kopf. Zweitens ist dies nicht in erster Linie Islamophobie. Sie richtet sich nur insoweit gegen den Islam, als sie die menschenverachtende Auslegung des Islam durch die Islamische Republik kritisiert. So ist die Sorge insbesondere der deutschen Linken, antiislamisch zu sein, wenn sie sich hinter die Demonstranten stellt, unbegründet. Von dieser Solidarität sehe ich jedoch immer noch sehr wenig.
Was ich leider auch nicht sehe in diesen Tagen und Monaten, ist Geschichtsbewusstsein. Insbesondere in Bezug darauf, wie viele monarchistische Flaggen bei den Demonstrationen gegen das iranische Regime geschwenkt werden. Hier in der Diaspora, hier bei uns sind die Flaggen der Monarchie eindeutig in der Überzahl. Doch woher kommt diese Geschichtsvergessenheit? Kann es tatsächlich sein, dass inzwischen so viele vergessen haben, wieso es 1978 im Iran zu einer Revolution gekommen ist?
Zwar ist völlig klar, dass es in der Islamischen Republik schlimmer geworden ist als unter dem Schah. Aber das ist nicht mein Punkt. Mein Punkt ist, dass wir nicht vergessen sollten, dass es auch unter dem Vorgängerregime schlimm war. Es ist keinesfalls grundlos und nicht einfach so zu einer Revolution gekommen.

Im Moment sehe ich eine große Geschichtsvergessenheit sowohl bei den „gewöhnlichen“ Iraner:innen als auch bei dem Nachkommen des letzten Schahs von Iran, Reza Pahlavi, der sich bis heute nicht mit der Herrschaft seines Vaters auseinandersetzt. Zwar darf man in der Tat die Kinder nicht für die Taten ihrer Eltern verantwortlich machen, wie Reza Pahlavi Junior zu Recht betont. Ich würde auch nicht so weit gehen wie die deutsch-iranische Schriftstellerin Asal Dardan, die meint, dass demokratische Feministinnen „sich nicht mit dem Nachkommen eines diktatorischen Monarchen zeigen sollten, solange er nicht zumindest die brutale Herrschaft seines Vaters öffentlich und klar kritisiert hat. Ohne Distanzierung ist er eine potenzielle Fortführung.“ Gerichtet war das an die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi und die Menschenrechtsaktivistin Masih Alinejad, die beide kürzlich mit Reza Pahlavi und anderen quasi einen Auslandsrevolutionsrat gebildet haben. Sich gemeinsam zeigen und zusammenarbeiten können sie meiner Meinung nach schon. Aber dennoch sollten Oppositionelle wie Ebadi und Alinejad auf eine Distanzierung drängen. Eine intensivere Auseinandersetzung Pahlavi Juniors mit der Kaiserzeit wäre bitter nötig. Das Kaiserreich war schließlich eine schreckliche Diktatur. Um Amnesty International mit einer Aussage von Mitte der 1970er Jahre zu zitieren: „Kein anderes Land in der Welt steht, was die Wahrung der Menschenrechte betrifft, schlechter da als Iran.“ Damit will ich nicht sagen, dass die Islamische Republik Iran das Kaiserreich Iran in der Nichtwahrung der Menschenrechte nicht noch übertroffen hat. Ich wundere mich nur über die Romantisierung jener Zeit. Ex-Kaiserin Farah sagt heute noch: „Mein Mann konnte den Iranern damals nicht mehr Freiheiten geben. Sie waren noch nicht so weit.“ Die Untertanen seien unfähig zur Demokratie – das war damals die herrschende Haltung. Woher kommt heute also die Glorifizierung des Kaiserreichs?

Eine alte iranische Anekdote vermag eine Antwort zu geben, wenn auch eine sehr zynische: Ein tyrannisch herrschender König wurde auf dem Sterbebett fromm und bereute seine Brutalität gegenüber dem Volk. So bat er seinen Sohn, den Kronprinzen, als künftiger König dafür zu sorgen, dass das Volk ihm, dem Vater, verzeihen und im Guten an ihn denken möge. Der Vater starb und der junge König wusste nicht, wie er den Wunsch seines Vaters erfüllen sollte, und bat daher den Hofminister um Hilfe. Dieser riet ihm, noch despotischer zu regieren als der Vater. So verbreitete der junge König im Land mehr Angst und Schrecken als je zuvor. Das Ziel war erreicht. Alle dachten nun im Guten an den früheren Despoten und sehnten sich nach den alten Zeiten zurück.

Erinnern wir uns doch bitte in einem kleinen Parforceritt durch die iranische Geschichte seit den 1950er Jahren daran, wie diese vermeintlich guten alten Zeiten aussahen: Nachdem der Schah von Ministerpräsident Mohammad Mossaddegh im Zuge der Verstaatlichung der Erdölindustrie ins Exil getrieben worden war, was die Mehrheit der Bevölkerung begrüßte, kehrte er nach dem Sturz Mossaddeghs mit Hilfe der Amerikaner und Briten 1953 auf den Pfauenthron zurück. Während seines kurzen Exils hatte der Schah begriffen, dass das Volk ihm gefährlich werden konnte, dass ein vom Volk gestützter Ministerpräsident genug Macht akkumulieren kann. Eine Neuauflage wollte der Schah mit allen Mitteln verhindern. Zu diesem Zweck riss er immer mehr Macht an sich, Macht, die ihm verfassungsmäßig nicht zustand. Doch die Verfassung hebelte der Schah nun peu à peu aus. In einem ersten Akt verbot er die Nationale Front, die Partei Mossaddeghs. Zudem spielte er die gesellschaftlichen Kräfte gegeneinander aus: So ließ er zum Beispiel, als er den Klerus einmal brauchte, die religiöse Minderheit der Bahais über die Klinge springen und duldete 1955 ein gegen diese gerichtetes Pogrom. 1957 dann gründete der Schah mit amerikanischer Hilfe einen Geheimdienst, den SAVAK, der in den folgenden Jahren zum Inbegriff von Terror und Repression wurde. Auch sind viele seiner heute über den grünen Klee gelobten Reformen reinste Augenwischerei: So wird heute gefeiert, dass der Schah 1962 den Frauen das Wahlrecht gab. Allerdings verfügte Iran zu diesem Zeitpunkt nicht einmal über ein Parlament, der Schah regierte mit Dekreten. Was also brachte Frauen dieses Wahlrecht – das er dann ohnehin wieder zurücknahm, um sich der Geistlichkeit anzubiedern.

Aus Protest gegen den Schah: Vor 60 Jahren begann Khomeinis Aufstieg

Nachdem der Schah ein weiteres „Reformpaket“ autokratisch durchsetzen wollte, kam es 1963 von klerikaler Seite aufs Neue zu großen Protesten – angeführt von Ayatollah Khomeini, der bis dahin politisch nicht groß in Erscheinung getreten war. Worauf genau seine Kritik in erster Linie zielte, darüber herrscht in der Iranistik-Forschung bis heute Uneinigkeit. Das ist an dieser Stelle auch unwichtig; wichtig ist vielmehr, wie der Schah auf den Protest reagierte. Pahlavi lässt diesen nämlich brutal niederknüppeln. Nach offiziellen Angaben sterben Hunderte Menschen; der Bevölkerung prägt sich hingegen ein, dass Tausende regelrecht abgeschlachtet wurden. Khomeini wird inhaftiert. Nun beginnt das Schah-Regime, jegliche politische Opposition mundtot zu machen. So stellt es die Mitglieder der Freiheitsbewegung vor Gericht – eine religiös-bürgerliche Partei, bestehend aus guten Demokraten; eine Opposition, die lediglich ein Mitspracherecht forderte. Doch auch dieses Wenige ist dem Schah zu viel. Statt die gemäßigte Opposition einzubeziehen, nimmt er sein Vorhaben der staatlich orchestrierten Wahlen unbeirrbar wieder auf, er verschärft Strafmaßnahmen wie Überwachung und schaltet Kritiker aus. Er sieht keinerlei Anlass, seine bisherige Politik zu überdenken oder gar zu revidieren. Weniger servile Mitglieder des politischen Establishments versuchen, den Schah zu einem Kurswechsel zu überreden. Ali Daschti, damals Botschafter im Libanon, warnt beispielsweise davor, die Geistlichkeit gegen sich aufzubringen, sei sie doch traditionell eine Verfechterin der Monarchie. Der Schah aber bleibt unbeeindruckt von solchen Warnungen. Stattdessen treibt er die Unzufriedenen weiter in die Arme Khomeinis. Für den Schah besteht keine Notwendigkeit, nach den Gründen für den Aufstand zu suchen, und er scheint nur seiner eigenen Propaganda zu glauben, wonach mehr Bildung Religiosität vertreibe. Die zunehmenden soziopolitischen Missstände lässt er dabei unbeachtet. Alle Kritiker gelten ihm kollektiv als übelwollende Feinde des Fortschritts.

Khomeini wird im April 1964 nach zehn Monaten aus der Haft entlassen. Er zeigt keine Anzeichen von Einschüchterung durch die ihm widerfahrene Behandlung, und als sich eine neue Gelegenheit ergibt, das Regime anzugehen, schafft er es sogar, das Label des Reaktionären abzuschütteln, das ihm bis dato noch anhaftete. Auslöser dieser neuen Konfrontation ist ein Schritt, der allgemein als die Formalisierung der US-Hegemonie im Iran angesehen wird. Allen amerikanischen Militärberatern sowie ihren Angehörigen wird diplomatische Immunität gewährt. Das Parlament winkt dieses Gesetz durch. Allerdings stößt es sogar in diesem sehr gefügigen Parlament auf Widerstand. Denn das Gesetz sieht für einen Amerikaner, der vorsätzlich einen Iraner umbringt, keine Strafe vor, während ein Iraner, der den Hund eines Amerikaners aus Versehen anfährt, mit einer hohen Strafe rechnen muss. Auch Antiamerikanismus und Antiimperialismus kommen im Iran also nicht völlig unbegründet auf. In der Bevölkerung ist die Empörung über dieses Gesetz so weit verbreitet, dass sich die Menschen hinter Khomeini stellen, der in einer lebhaften Anklage dem Schah vorwirft, die iranische Unabhängigkeit, nationale Souveränität und Würde aufzugeben. Er nennt ihn einen amerikanischen Lakaien, worin ihm auch viele Säkulare zustimmen. Khomeini wird daraufhin verhaftet und in die Türkei abgeschoben, später in den Irak. Von dort aus kann er langsam zum Sprachrohr der Opposition werden. Und der Schah tut unbewusst alles dafür, ihm dabei behilflich zu sein.

1971 etwa inszeniert er die 2500-Jahr-Feier der persischen Monarchie. Ziel der Propagandaveranstaltung ist es, durch Anknüpfung an die vorislamische Geschichte Irans die Legitimation der Monarchie zu stärken. So stellt sich der Schah in eine Reihe mit dem großen Herrscher Kyros. Als Gäste werden zu dieser prunkvollen Zeremonie nur ausländische Würdenträger geladen, die Bevölkerung ist ausgeschlossen. Es wird ein immens verschwenderischer Aufwand betrieben. Neben den Ruinen von Persepolis lässt der Schah eine Zeltstadt aus 37 Kilometern Seide erbauen. Die aus der Wüste gestampfte Oase verfügt über frisch gepflanzte Wälder und Blumen sowie 50 000 aus Europa importierte Singvögel, die für Atmosphäre sorgen sollen, jedoch allesamt jämmerlich in der Wüste verrecken. „Das Milliarden-Camping“ titelte die „Schweizer Illustrierte“. „Das Fest des Jahrhunderts“ war es laut der Zeitschrift „Life“. „Die Mutter aller Partys“ hieß es im „Stern“.

Die enorme Verschwendung provozierte Kritiker des Schah-Regimes über alle ideologischen Grenzen hinweg. Oppositionspolitiker Abolhassan Banisadr erinnert sich: „Die Opposition war vereint in ihrer Ablehnung dieser Feier. Er brachte jeden gegen sich auf, wirklich jeden – von den Linken bis hin zu Khomeini in seinem Exil.“ Der äußerte sich lautstark, bezeichnete die Feier als „Festival des Teufels“. Der Schah sei nicht mehr als ein Verbrecher, der das Volk ausraube. Der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann hatte es vorgezogen, nicht persönlich zur Party zu kommen. Denn nach seiner zunächst erfolgten Zusage war Heinemann mit Protesten der deutschen Linken überschüttet worden. Der Staatsbesuch des Schahs in Berlin kurz zuvor hatte 1967 zu großen innenpolitischen Spannungen geführt. Auf die Proteste gegen den Schah in Deutschland hatte der SAVAK mit Attacken auf Demonstranten reagiert. Wir erinnern uns an die Prügel-Perser. Bei einer Demonstration wurde Benno Ohnesorg erschossen – dieInitialzündung für die außerparlamentarische Opposition (APO) und damit für die 68er-Bewegung. In dem Jahr, in dem der Schah sein großes Fest feierte, nahm die marxistisch-leninistische Fedaiyan-e chalq ihren Guerillakampf gegen das Schah-Regime auf. Wenig später wurden auch die islamisch-marxistischen Volksmudschaheddin verstärkt aktiv. In den folgenden Jahren wurden bei zahllosen Angriffen Hunderte von Volksmudschaheddin getötet, Tausende ihrer Mitglieder saßen in den Gefängnissen ein und die Repression des SAVAK gegen die Opposition nahm grauenerregende Ausmaße an.

Der Guerillakampf der Marxisten

Hinzu kamen hausgemachte wirtschaftliche Probleme. Begründet waren diese in einer fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik des Schahs, die wiederum dessen Größenwahn geschuldet waren. Nie zuvor war das Einkommen der Iraner:innen so ungleich verteilt gewesen. Es herrschte eine riesige Kluft zwischen Arm und Reich, und vor allem die Jugend, der es an Studien- und Ausbildungsplätzen fehlte, war unzufrieden. Eine zu rasche Modernisierung hatte das soziale Gefüge der iranischen Gesellschaft regelrecht zerrissen.
Und noch ein weiterer Schritt zeugte von der überbordenden Ignoranz des Schahs: 1975 ersetzte er alle Parteien durch die Einheitspartei Rastachiz, die Partei der Auferstehung. Damit wurde das bestehende Zweiparteiensystem abgelöst, wobei es auch schon vorher keine wirkliche Mitsprachemöglichkeit gegeben hatte. Die beiden bisherigen Marionettenparteien trugen daher die Spitznamen „Yes-Partei“ und „Yes-Sir-Partei“. Dennoch kam mit der Gründung der Rastachiz-Partei eine neue Dimension ins Spiel, die das politische System destabilisierte. Der Schah erklärte nämlich, die Bürger hätten die Wahl zwischen Parteimitgliedschaft oder Auswanderung. Mit der Volljährigkeit, so wurde festgelegt, war man automatisch Mitglied. Man brauchte also nicht einzutreten, musste aber gegebenenfalls seinen Austritt veranlassen. Das schien fast allen, die dies wollten, zu gefährlich. Und hier geschah, was es bisher nicht gegeben hatte. Zuvor konnte man in Frieden leben, wenn man den Status quo nicht herausforderte und nicht politisch aktiv war. Das änderte sich jetzt. In der Folge machte sich immer stärkere Unzufriedenheit breit. Viele, besonders die Studierenden, verlangten die Abschaffung der Zensur, sie wollten Meinungs- und Pressefreiheit, kurz: einen Rechtsstaat.

Von seinem Exil aus erließ Khomeini eine Fatwa gegen die Rastachiz-Partei. Der Partei beizutreten sei verboten, da sie dem Islam, der Verfassung und internationalen Normen widerspreche. Drei Monate später, anlässlich des zwölften Jubiläums des Aufstands, der Khomeini ins Exil gebracht hatte, folgte eine weitere Erklärung, und eine dritte Fatwa kam ein Jahr später im September 1976. Darin verbot Khomeini den Gebrauch des kaiserlichen Kalenders, den der Schah kurz zuvor eingeführt hatte. Er sollte die islamische Zeitrechnung Irans ersetzen und begann mit der Thronbesteigung des Kyros. Plötzlich hatten wir das Jahr 2535. Dieser neue, sogenannte imperiale Kalender war ein riesiger Affront gegen die Geistlichkeit und trug zur weiteren Entfremdung des Schahs von seinem islamisch geprägten Volk bei. Am 15. November 1977 reiste der Schah in die Vereinigten Staaten. Das gesamte Spektrum der Opposition nutzte diese Möglichkeit, die Welt über die Menschenrechtsverletzungen des Monarchen zu informieren. Demonstrationen vor dem Weißen Haus, organisiert von der Konföderation der iranischen Studierenden, erzählten in Wort und Bild von seinen Missetaten. Dass sich Jimmy Carter, als er kurz darauf in Teheran Silvester feierte, demonstrativ hinter den Schah stellte, war diesem angesichts der in ihrer Amerikakritik geeinten Opposition auch keine Hilfe. Carter erklärte: „Der Iran ist dank der großartigen Staatsführung des Schahs eine Insel der Stabilität in einer der problemreichsten Regionen der Welt.“

Mit der Insel der Stabilität war es jedoch nicht mehr weit her. Die Revolution kam und siegte. Und sie löste die Herrschaft des Schahs ab – die, ganz gleich, wie man das heute sieht, allzu glorreich nicht war. Insofern irritieren die Interviews von Farah Diba, der Ex-Kaiserin, sehr. Diba sprach in diesen von einer Rückkehr zu einem freien und demokratischen Iran. Rückkehr? Zu einem freien und demokratischen Iran? Da muss ich als Iran-Historikerin etwas verpasst haben. Weder in ihrer Biografie noch in der sehr ausführlichen Dokumentation, die über sie gedreht wurde, lässt Farah Diba Reue erkennen oder eine kritische Distanz, oder auch nur eine Auseinandersetzung mit der Regierungszeit ihres Mannes. Nun mag sie politisch nicht mehr relevant sein. Doch dasselbe gilt auch für ihren Sohn, der erst kürzlich bei der Münchener Sicherheitskonferenz hofiert wurde und sich als Sprachrohr der Iraner:innen inszenierte. Von Natalie Amiri, der bekannten „Weltspiegel“-Moderatorin und ehemaligen Iran-Korrespondentin hierzu befragt, reagierte er ausweichend und ablenkend. Und Amiri erntete in den Social Media einen Shitstorm, nur weil sie eine journalistisch berechtigte Frage gestellt hatte. Das meine ich, wenn ich von geschichtsvergessenen Monarchisten spreche.

Andererseits sieht Iran heute, 43 Jahre nach der Machtübernahme Khomeinis, genauso aus wie das fiktive Land aus meiner Anekdote: Die iranische Bevölkerung hat noch weniger politische Freiheiten, ist ärmer als vor der Revolution von 1978/79 und wurde jeder persönlichen Freiheit beraubt. So sehnen sich heute viele Iraner:innen tatsächlich nach den alten Zeiten.

Die Parole „Reza Schah, ruhe in Frieden“ ertönte 2017 erstmals auf Demonstrationen. Auch bei den Protesten im Jahre 2018/19 wurden Parolen für den verstorbenen Schah gerufen. In den sozialen Netzwerken sieht man seither immer mehr Videos und Fotos aus der Zeit vor der Islamischen Revolution; Bilder von Frauen in Bikinis und Männern in Shorts, von tanzenden Jugendlichen in Diskos und glitzernden Talkshows im staatlichen Fernsehen.

Kürzlich las ich über einen Vorfall an der Uni Teheran, der recht typisch ist für die Denkweise vieler junger Iraner:innen heute. In einem Seminar hatte ein Professor erwähnt, dass in den sozialen Netzwerken und von den ausländischen persischsprachigen Fernsehsendern die schlimmen Bilder aus dem Kaiserreich ja nicht gezeigt würden: etwa von den verarmten Massen in den Slums oder den hingerichteten politischen Gefangenen. Die Mehrheit seiner Studierenden habe ihn daraufhin gefragt, ob ihm nicht bewusst sei, dass die Armut heute ein unvorstellbares Ausmaß angenommen habe und Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen an der Tagesordnung seien. Kurz: Iran müsse damals im Vergleich zu heute ein Paradies gewesen sein. Wieder sind wir also bei der anfangs erwähnten Anekdote.

Wider die Geschlechter-Apartheid im Iran

Die Romantisierung der Schah-Zeit ist also irgendwie verständlich. Doch ich würde ungern erleben müssen, wie die Frauen und Männer im Iran noch einmal um eine notwendige Revolution betrogen werden. Deshalb brauchen wir auch eine klare Haltung zu der Zeit vor der Revolution. An dieser Revolution beteiligten sich 1978/79 aus guten Gründen Frauen aus allen sozialen Schichten. Sie schlossen sich der revolutionären Bewegung aus den unterschiedlichsten Motiven an: religiös und säkular, ökonomisch und politisch, konservativ, gemäßigt und radikal. Doch die Mehrheit dieser Frauen erwartete, dass die Revolution ihnen eine Ausweitung, nicht eine Einschränkung ihrer Rechte und Möglichkeiten bringen würde. Insofern ist es kein Zufall, dass nun so viele Frauen im Iran protestieren. Sie haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten, als Gruppe betrachtet, am meisten verloren. Im Iran herrscht inzwischen Geschlechter-Apartheid. Gerade Frauen mögen sich in rechtlicher Hinsicht in die Schah-Zeit zurücksehnen, in der es ihnen durchaus besser ging. Vor allem durch das sogenannte Gesetz zum Schutz der Familie aus dem Jahre 1967. Dieses hatte spezielle Gerichte institutionalisiert, die sich mit Streitigkeiten in Bezug auf Ehe, Scheidung und Sorgerecht befassten. Ehemänner benötigten nun die Genehmigung dieser Gerichte, um sich von ihren Frauen scheiden zu lassen, wodurch sie eine Ehe nicht mehr einseitig beenden konnten. Die Zuerkennung des Sorgerechts für die Kinder wurde dem Ermessen der Gerichte überantwortet und nicht mehr wie zuvor automatisch dem Ehemann zugesprochen. Und das Heiratsalter für Mädchen wurde auf 18 Jahre angehoben. Sofort nach der Revolution wurde dieses Gesetzeswerk durch ein Familienrecht ersetzt, das weit stärker auf den Vorgaben des islamischen Rechts beruht. Das Recht auf Scheidung und das Sorgerecht geschiedener Frauen wurden eingeschränkt, das Mindestalter für die Verheiratung von Mädchen wurde zunächst auf 13, dann auf neun Jahre herabgesetzt, inzwischen liegt es bei zehn Jahren. Polygamie wurde erlaubt. Das Zeugnis einer Frau vor Gericht ist nur halb so viel wert wie das eines Mannes, das Gleiche gilt für die finanzielle Entschädigung im Falle eines Unfalls mit tödlichem Ausgang (diye): Die Hinterbliebenen einer Frau erhalten als Entschädigung nur die Hälfte dessen, was man für einen Mann bekommt. Frauen dürfen bestimmte Berufe nicht mehr ausüben, etwa den der Richterin – und Staatspräsidentin können sie in der Islamischen Republik ohnehin nicht werden.
Und so mag man trotz all der von mir beschriebenen Gräuel, zu denen es in der Schah-Zeit gekommen ist, vielleicht melancholisch werden – und sich zurücksehnen nach dem Regen, wenn man gerade in der Traufe gelandet ist. Das aber kann das Ziel nicht sein, insbesondere nicht für die unterdrückten Frauen. Es kommt vielmehr darauf an, es in Zukunft ganz anders, nämlich richtig gut zu machen – und nicht nur weniger schlecht.
--------------------------------------------------
Der Beitrag basiert auf dem Vortrag der Autorin bei der Veranstaltung „Den Wind in den Haaren spüren. Iran und die Rechte von Frauen. Ein aktualisierter Blick zum internationalen Frauentag“ am 7. März 2023 im Kölner Rautenstrauch-Joest Museum. Vgl. dazu auch das soeben erschienene Buch der Autorin: Iran ohne Islam. Der Aufstand gegen den Gottesstaat, München 2023.
--------------------------------------------------
- Katajun Amirpur(blaetter)

اضف تعليق

Neuere Ältere